23.10.2018
Vortrag des Oberarztes Albrecht Sander lockt über neunzig Interessierte ins Krankenhaus Tauberbischofsheim – Studien belegen Schutzfunktion des Glaubens.
Besonders in existenziellen
Situationen wie dem plötzlichen Tode eines nahen Menschen, bei Trennung,
schwerer Krankheit oder auch Katastrophen stellt sich für die Betroffenen die
Frage nach dem Sinn des Lebens. Hier können eine positive Verankerung im
Glauben und ein Zugang zur eigenen Spiritualität eine positive Ressource
darstellen, um diese Situationen bewältigen zu können. Wie das gelingen und bei
einer Therapie unterstützend wirken kann, erläuterte Albrecht Sander, Oberarzt
für Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in seinem Vortrag
"Spiritualität als Kraftquelle bei psychischen Erkrankungen" jetzt im Krankenhaus
Tauberbischofsheim vor mehr als 90 interessierten Zuhörern.
"Viele Menschen haben nach
einem Lebensereignis, welches das Selbst- und Weltbild erschüttert und das
Urvertrauen zerstört, das Bedürfnis, einen höheren Sinn zu fassen", berichtete
Albrecht Sander auch aus seiner eigenen Erfahrung als Therapeut von Betroffenen.
Wer nach einschneidenden Lebensereignissen Sinn fassen könne, werde sich
schneller und auf nachhaltigere Weise an die neuen Lebensumstände bzw.
Erkenntnisse anpassen. "So können traumatische Erfahrungen verarbeitet und das
seelische Gleichgewicht wieder hergestellt werden", unterstrich der Facharzt
für Psychiatrie und Psychotherapie. Der Satz "Not lehrt Beten" habe hier seinen
Ursprung. "Das eigene Erleben wird also in einen spirituellen
Gesamtzusammenhang eingebettet. Dahinter steht immer wieder das Bedürfnis, eine
Ursache für das Leiden zu finden, um es besser bewältigen zu können."
Doch sei der Begriff Spiritualität
nicht auf eine Glaubensrichtung beschränkt, der "Containerbegriff"
Spiritualität habe durchaus mehrere Definitionsvarianten. Diese stellte der
Oberarzt im Anschluss vor. So wurde der Begriff ursprünglich vom lateinischen
"spiritualis" abgeleitet, als Leben im und aus dem Geist Gottes, der im
Menschen wohnt. Er kann aber auch als Verbundenheit mit etwas Heiligem oder
eine allgemeine Bezogenheit auf ein größeres, umfassendes Ganzes stehen,
welches auch nicht theistisch sein kann. "Ein zentrales Ergebnis der religiösen
Bewältigungsforschung besagt, dass nur diejenigen Menschen von ihrem Glauben
profitieren, die eine verinnerlichte, dem eigenen Erleben angepasste Form der
Religiosität, also eine religiöse Spiritualität leben", führte Sander weiter
aus. Die problematische Polarisierung hierbei sei, dass Religion als
institutionell zwanghaft (negativ) und Spiritualität als individuelle
Sinnfindung (positiv) bewertet werde. "Allerdings benötigen Menschen bei ihrer
spirituellen Suche eine Struktur." Interessanterweise bezeichnen sich laut
einer Umfrage aus dem Jahr 2008 in Deutschland nur 18% der Bevölkerung als hoch
religiös, während es in den USA 62% sind.
Anhand eines
Gehirnquerschnitts erläuterte Albrecht Sander Untersuchungen, die bei betenden
Menschen gemacht wurden. "Hierbei fällt auf, dass sich Religiosität und
Spiritualität in unterschiedlichen Gehirntätigkeiten widerspiegeln". Auch auf
Transzendenzerfahrungen ging er ein. "Hierzu müssen sich Menschen allerdings
einlassen und bereit sein für eine spirituelle Erfahrung." Dabei gebe es
durchaus den Unterschied zwischen Glaube und Wahn, zwischen normal und
krankhaft", betonte Sander. "Im Glauben ist die Gruppenverankerung und
Gemeinschaft und das Zulassen von Zweifeln normal, während im Wahn eine
Vereinsamung, fehlende Kommunikation Vertrauensverlust und psychopathische
Auffälligkeiten entstehen."
Sander verwies in seinem
Vortrag auf zahlreiche Studien, die belegen, dass es eine positive Korrelation
zwischen Religiosität und psychischer Gesundheit gibt. Dies gelte vor allem bzgl.
Demenz und Suizid. "Glaube schützt, da der Freitod in vielen Religionen abgelehnt
wird. Selbst depressive Menschen sind hier durch ihre Religiosität besser geschützt."
Diese Erkenntnisse finden
auch Anwendung in der Therapie von Betroffenen. "Ansatz in der Therapie ist zunächst
das Ziel eine funktionelle Spiritualität zu erreichen, die den Patienten eine
Hilfe zur Lebensbewältigung sein kann, aber auch das Selbstvertrauen stärkt, da
Traumata die spirituellen Grundannahmen zerstören können und z.B. die
Gerechtigkeit Gottes angezweifelt wird", so Sander. Als Beispiel für spirituelle
Interventionen als Heilungsrituale führte er z.B. Gebet, Beichte, Segen oder Übergangsobjekte
an sowie Abwehr von Unglück durch Heiligenbilder, Amulette, Kreuz und
Schutzbringer. Spirituelle Aktivitäten wie Wallfahrten oder die Teilnahme an
religiösen Festen gehörten ebenfalls dazu.
"Es tut gut, wenn - etwa wie
in der Beichte - Schuld vergeben wird", so Sander. Hier gebe es durchaus
Gemeinsamkeiten zwischen Beichte und Therapie durch ritualisierte Gespräche. Der
Psychiater und Psychotherapeut machte aber auch die Unterschiede deutlich: "Der
Beichtvater ist in der Rolle des "guten Hirten", während der Therapeut sich
abgrenzt und nicht urteilt, wertet oder richtet." Ziel des Therapeuten sollte
sein, sich bald nicht mehr nötig zu machen.
Abschließend betonte
Albrecht Sander, dass es ihm ein großes Anliegen sei, sich auf das Thema
einzulassen, da die Psychotherapie sich oft aktiv von der Religiosität
abgrenzt. Dies führte im Anschluss an den Vortrag noch zu einem regen Austausch
unter den Anwesenden.